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Wie alle andern Ufer
1.
Dies Ufer
ist wie alle andern Ufer.
Auch dieser Stein am Ufer.
Wie soll ich bloß verreisen,
verlassen dieses Ufer,
den Stein an diesem Ufer,
auf dessen Schultern aus geschmolzenem Erinnern
die Zeit sich eingefressen hat wie eine Arabeske
und wo ein schwarzer Vogel überm Dunkel auf den Dächern wacht
an diesem Ufer,
diesem Stein am Ufer,
das ich verlassen soll.
O lehr mich doch,
o lehr mich doch,
o lehr mich doch,
o bring mir bei, wie ich verreisen soll.
Lehr mich’s an jedem Abend, wenn ich, heimgekehrt in diese Stadt,
die Stadt, die ich wie einen Brotlaib mit mir trage unterm Arm,
und alle Wege, jede Straßenkreuzung
aufheult in mir – ein Rudel mit durchtrennten Kehlen –
bleiben zu dürfen!
Und wenn der Weg zurück so lang,
daß ich die Hoffnung fahren laß’ auf Wiederkehr.
Und wo der Stein bis an die Stirn mir reicht
und ich im Aufblitzen des Schmerzes erst begreife,
daß es die Schwelle war woran ich meine Stirne wundgeschlagen,
die Schwelle dieses Steins,
des Ufersteins,
an einem Ufer, welches allen andern Ufern gleicht,
das ich verlassen muß,
und weiß doch nicht,
weiß nicht
und weiß noch immer nicht,
wie ich es schaffen soll, mich loszureißen…
Es öffnet sich der Stein, ich trete ein. Ins Licht.
2.
Mit einer Klinge dringt’s mir in die Brust
die zweite stößt es mir in mein Genick.
Gefesselt und gefangen, blind vor Licht
stürz ich zu Boden. Fall ins Nichts.
Nicht Raum noch Zeit.
Allmählich komm ich zur Besinnung.
Besinnen will ich mich.
Das Licht hebt sich wie Morgennebel.
An meine Schläfen hämmert schauerlich ein Schrei:
etwas Fremdes und doch Eigenes.
mit allen Fühlern meines Willens tastend
erkenne ich: ich lieg an jenem Graben,
den wir Liebe nennen.
Tief ist der Schacht und leer.
Du bist nicht da.
Gleichgültig ob du Duschanka, Marija oder Leda –
Du bist nicht da.
Dein blaues Auge blickt mich an vom Grund der Schlucht.
Du bist nicht da.
Die Spuren deiner Schritte abgedrückt im Erdreich.
Entsetzt bekreuzigt sich gespenstisch die Erscheinung,
die im Graben wohnt:
du bist nicht da.
Dein Herz schlägt auf dem Grund der Grube.
Du bist fort.
In mir zittert dein Espenlaub.
Dein Sinnen kerbt mir Furchen ein.
Deine Wege schreiten über meinen Anger.
Du bist in mir ohne mich. Auch ich.
Du bist fort.
Du bist fort.
Du bist fort um zu bleiben.
Dein Herz pocht auf dem Grund der Grube.
Nein, es gibt kein Entrinnen
von diesem Ufer, diesem Uferstein.
Es gibt kein Fortgehn. Nein und nein.
Sanft nimmt das Licht des Steins uns in die Arme.
Aco Šopov, Der Wind bringt schönes Wetter (Ветрот носи убаво време), 1957
Gedicht übersetzt von Ina Jun-Broda, Schwarze Sonne, 2012