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Das Erbe Aco Šopovs*

von Katica Ćulavkova

Katica Ćulavkova am 21. Mai 2006.

Die Dichtung Aco Šopovs hat ihren unangefochtenen Platz in der mazedonischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Seit seinen ersten Werken unterschied sich dieser Dichter, der ein Klassiker unserer Dichtung wude, durch einen rebellischen Antikonformismus, der eine vorherrschende Stellung sowohl im Stil, als auch in der Thematik einnahm. Sein persönlicher Ausdruck, weit entfernt von den üblichen traditionellen und sozialen Themen, die die mazedonische Literatur am des Ende des Zweiten Weltkriegs kennzeichneten, liess Šopov zum Gründer unserer modernen Dichtung werden.

Diese erste Phase seines poetischen Schaffens gibt Aufschluss über eine intime Begegnung mit der Welt, eine Suche, die Šopov zu verschiedenen dichterischen Erfahrungen führt, vom Futurismus über den Expressionismus zum Symbolismus.

Die 1950ziger Jahre sind die Zeit einer verschlüsselten, sich hermetisch gebenden Sprache. Der Vers wird zu einer Parabel, einm Gleichnis, auf die Existenz. Er ist Handlung. Er ist Offenbarung. Im Gedicht wird die Geburt verstanden als Tod und Leben, eine ständige Konfrontation mit dem Unausweichlichen. Das Seiende und das Nicht-Seiende werden die wiederkehrenden philosophischen Themen, die sich in Symbole, Konsonanten und in konkrete dichterische Bilder verwandeln, wie z.B. dasjenigen der Meditation am Ufer des „Sees des Lebens und des Todes“. Das Gedicht verwandelt sich in ein Heim der „Qual und des Glücks“, in eine poetische Metathese, die die Ambivalenz von Sprache und Vaterland akzeptiert. Es ist auch die Zeit, in der der Dichter auf die Stille trifft.

Die Stille und das Wort sind die beiden Seiten derselben Realität. Das Gedicht Šopovs verlässt den Ton der Beichte für den des Dialogs (ein dramatischer Dialog zwischen dem poetischen und einem imaginären Subjekt), auf eine Art und Weise, die ihn, in den 1960ziger Jahren, die Schwelle zum Intimen überschreiten lässt. Genau in diesem Moment führt Šopov die Modernität in unsere Dichtung ein, durch ein ihm eigenes Prozedere, ohne radikal mit dem lyrischen Intimismus und Konfessionalismus zu brechen, in dem er im Gedichtzyklus „Elf Gebete meines Köpers“ die Form des Gebets einführt. Was gibt es intimeres als das, in der Einsamkeit, gesprochene Gebet? Von der magischen Macht des Wortes im Gedicht ausgehend, die als eine rituelle Parabel auf Geburt und Tod gesehen wird, etabliert der Dichter eine Beziehung zwischen dem modernen verschlüsselten Wort in der Dichtung, und dem jahrhunderte alten verschlüsselten Wort des Rites. Dieses Prozedere ist ebenfalls in drei anderen Gedichten sichtbar: „Die Narbe“, „Das Lied und die Jahre“ sowie  „Geburt des Wortes“, wahre Manifeste des Neosymbolismus oder vielmehr des mazedonischen Suprematismus.

Die Dichtung Aco Šopovs erreicht ihren Höhepunkt mit der Gedichtsammlung Der aus der asche weissagt, (1970) sowie mit den beiden Zyklen „Das lange Erscheinen des Feueres“ und „Schwarze Sonne“.

Der kreative Prozess ist in seiner vollen Reife und der Dialog mit den universellen topoi ist etabliert. Die vier Elemente, Feuer, Wasser, Erde und Luft, anscheinend einfache Erscheinungen, sind jedoch mächtige dichterische Erfüllungsgehilfen, die  ein ganzes poetisches Universum gestalten. Šopovs Ausgangspunkt ist elementar, im wahrsten Sinne des Wortes, und er kommt auch dahin wieder zurück, aber erst, nachdem er eine höhere Bewusstseinsebene erreicht hat, nachdem er Spuren hinterlassen hat, erst nachdem er seinem Volk und seiner Sprache ein Testament vermacht hat.

Dank diesem Ausbruch an Worten, die geheimnisvoll, vielsinnig, sinnbeladen, und Träger vieler existentieller Schichten, geerbt oder vorgeahnt, sind, verschob Šopov den Horizont der mazedonischen Gegenwartspoesie. Nach dieser titanenhaften Arbeit, reich an menschlichen und poetischen Erfahrungen, zieht er sich zurück in die Kontemplation, indem er in eine neue Welt eintaucht: Subsahara-Afrika. Die 1970ziger Jahre sind jene der Entdeckung von Unterschieden und Ähnlichkeiten zwischen dem Senegal und Mazedonien. Wie erleichtert lässt er sich durch den ihm bekannten afrikanischen Rhythmus wiegen und schliesst so den Kreis von seinem poetischen Abenteuer.

Diese Erleichterung ist, sowohl auf semantischer Ebene als auch im Stil, in der gesamten letzten Phase des poetischen Schaffens Šopovs fühlbar. Melancholie beherrscht seine letzte Gedichtsammlung Baum auf dem Hügel (1980). Die wiederkehrenden Themen seiner Dichtung kommen verstärkt zurück, Feuer, Körper, Sonne, See, aber dieses Mal vereint in dem Bild vom Vaterland. In einem seiner letzten Gedichte schreibt er folgende Zeile: Das Schicksal der Welt liegt in Mazedonien / das Schicksal Mazedoniens öffnet sich der Welt.

* Zusammenfassung des Vorwortes zu Aco Šopov: Die Geburt des Wortes,  Herausgegeben von Katica Ćulafkova, 2008 (auf mazedonisch). .