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Der See

Woge, Welle, kreise Wirbel, schlag ans Ufer, Brandung,
eine Glocke läutet aus Wind und aus Licht!
Du schwillst, kommst näher, dein unstillbares Brausen
erstirbt mit dem Ufer, das unter dir bricht.

Hier bist du, doch auch wenn ich dich verlier hinter Klippen,
öffnest du dich in mir, wie die Muschel, o See,
wie in trockenem Bett versinkst du in meinen Blicken
mit einem unbestimmten und fernen Weh.

Dann weiβ ich: so lange du mir verloren
und ich meinen Weg nicht kenne noch finde,
dass du Feuerbrand bist, der sich heimlich erkoren
ein Menschenherz dass sein Blut sich entzünde.

Drohend und brausend nahst du mit Blitz und mit Brand,
und von Allem, das vergebens flieht und sich duckt,
bleibt nichts als ein Schatten, nichts als der Sand,
Ufersand, der dürstend und gierig dich schluckt.

Und ich ahne Äonen der Dürre, wüst und zerstört,
Stumme Weite, die unter schwarzer Rinde verdorrte,
und auf verschüttete Quellen statt auf dein Rauschen hört
wie auf das Poltern zweier schwerfällig kollernder Worte.

O See, du schwillst an und überschwemmst den Uferstreifen
Verbirg hinter der Maske von Schönheit und Brausen dein wahres Gesicht
dein Wasser wird alles verstehen, alles begreifen –
Brande, Welle, kreise, Wirbel, in einer Glocke aus Wind und aus Licht.

Aco Šopov, Der aus der Asche weissagt (Гледач во пепелта), 1970
Gedicht übersetzt aus dem Makedonischen von Ina Jun-Broda, Schwarze Sonne, 2012